06.10.2021

Wahl zum Vogel des Jahres 2022 – Kandidatencheck aus NRW-Sicht

Nachdem in den letzten Wochen im Bundestagswahlkampf die Biodiversitätskrise zumindest öffentlich weitestgehend ignoriert wurde, könnte sich das nun ändern, wenn auch leider nicht notwendigerweise auf politischer Ebene. NABU und LBV rufen wieder zur Wahl des Vogels des Jahres auf. Anders als im letzten Jahr, als unzählige Arten zur Auswahl standen, sind es nun nur noch fünf Vogelarten, die jedoch das Potenzial haben, Botschafter von Naturschutzthemen zu sein. Wir schauen im Folgenden in systematischer Reihenfolge, wie es um die nominierten Vogelarten in NRW steht.

 

Wiedehopf Upupa epops

Wiedehopf
Wiedehopf (© Hans Glader)

Wiedehopfe flechten zwar im Kinderlied der Braut den Zopf (oder bringen den Topf), dürften aber nur wenige Beobachter*innen live in NRW gesehen haben. Als Brutvögel gelten sie in NRW seit 1977 als „ausgestorben“. Damals brütete das letzte Paar an der unteren Lippe im Kreis Wesel. Einst waren Wiedehopfe in NRW jedoch ungemein häufige Vögel. Bestandsrückgänge setzten jedoch schon im 19. Jahrhundert ein und spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Art meist nur lokaler Brutvogel. In anderen Regionen Deutschlands gibt es jedoch seit einigen Jahren dank Naturschutzprojekten wieder einen Bestandsanstieg. Allen voran die Bereitstellung von speziellen Nistkästen hat sich als erfolgreiche Maßnahme erwiesen. Als südliche Art könnten Wiedehopfe auch Gewinner des Klimawandels sein. NABU und LBV möchten mit der Art für eine Reduktion des Pestidzidverbrauchs werben – Wiedehopfe ernähren sich vor allem von bodenlebenden Großinsekten. In NRW war die Art ursprünglich in Streuobstwiesen und auf Heiden verbreitet – Wiedehopfe stehen damit als Schirmart auch für andere bedrohte Vogelarten – nicht zuletzt auch für unseren Logovogel, den Steinkauz.

 

 

Mehlschwalbe Delichon urbicum

Mehlschwalbe
Mehlschwalbe (© Andreas Welzel)

Mehlschwalben sind in NRW vergleichsweise häufig und verbreitet, aber auch sie sind vielerorts nicht mehr so allgegenwärtig wie einst und bereits als Brutvögel aus vielen Innenstädten verschwunden. In der Roten Liste der Brutvögel NRWs gelten sie heute als „gefährdet“. Mehlschwalben brüten zwar auch in Gebirgen oder an Kreidefelsen, sind aber vor allem als Gebäudebrüter bekannt. Leider werden ihre Nester immer wieder zerstört, obwohl dies in der Regel eine Straftat darstellt. Ordnungswut und falsches Hygieneempfinden (richtig angebrachte Brettchen fangen den Kot auf und stören die Vögel nicht) sorgen dafür, dass Städte und Dörfer immer artenärmer werden. Im Siedlungsbereich besteht sicherlich Handlungsbedarf für den Artenschutz. Die Wahl der Mehlschwalbe würde auf die Wohnungsnot auch bei Arten wie Mauersegler und Haussperling aufmerksam machen. In NRW kümmert sich unsere AG Gebäudebrüter sehr intensiv um den Schutz dieser Arten und gibt zahlreiche praktische Tipps. Eine Vogel-des-Jahres-Kampagne könnte hier wichtige Aufklärungsarbeit leisten.

 

 

Steinschmätzer Oenanthe oenanthe

Steinschmätzer
Steinschmätzer (© Darius Stiels)

Vielleicht ist der Steinschmätzer der unbekannteste Vogel unter den Kandidaten. Er ist aber auch gleichzeitig einer der bedrohtesten Vogelarten NRWs und laut Roter Liste akut „vom Aussterben bedroht“. Die letzten regelmäßigen Brutvorkommen in NRW befinden sich in den Braunkohletagebauten des rheinischen Reviers. Mit dem (ansonsten dringend notwendigen) Ende des Abbaus und der nachfolgenden Rekultivierung ist das Aussterben des schönen Vogels aber vielleicht sogar vorprogrammiert. Lebensräume wie Kiesgruben oder Heiden und Brachen werden in NRW seit langer Zeit kaum noch besiedelt. Nach dem Krieg siedelten Steinschmätzer noch häufig in den Trümmerwüsten der zerstörten Städte. In anderen Regionen Deutschlands gibt es zwar teils Schutzmaßnahmen für die Art, in NRW gibt es bisher aber kaum Erfolge in dieser Richtung. Unsere hypertrophe Landschaft bietet wohl keine geeigneten Lebensräume mehr, aber Aufgeben sollte doch noch keine Option sein. Als Durchzügler sind Steinschätzer in der Agrarlandschaft zu den Zugzeiten recht häufig zu sehen. Sie gehören zu den Weltmeistern unter den Zugvögeln und ziehen von ihren Brutgebieten in der Arktis bis nach Afrika und zurück. Steinschmätzer können damit Botschafter zwischen den Kontinenten sein und für die Faszination des Vogelzugs werben.

 

Feldsperling Passer montanus

Feldsperling
Feldsperling (© Eckhard Lietzow)

Otto le Roi bedachte Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner sonst so ausführlichen Avifauna der Rheinprovinz den Feldsperling nur mit wenigen Zeilen. Zu Häufigkeit und Verbreitung findet sich vor allem ein Wort: „allenthalben“. Zusammen mit Haussperling und Feldlerche gehörte der Feldsperling zu den drei häufigsten Vögeln der Region. In Westfalen dürfte es damals auch nicht viel anders ausgesehen haben. Heute gilt die Art als „gefährdet“, ist aber immerhin noch fast landesweit verbreitet. Die Einschätzung des NABU, dass wohl jede*r schon mal einen Feldsperling gesehen hat, halten wir auf NRW bezogen aber für sehr gewagt. An nur wenigen anderen Arten zeigt sich wohl gerade das „Vogelsterben“ in NRW so deutlich. Dies betrifft auch den Siedlungsraum, wie eine jüngst veröffentlichte Studie aus Bonn gezeigt hat. Feldsperlinge sind Höhlenbrüter, die in Baumhöhlen (z.B. in alten Obstbäumen) und Nistkästen brüten. In NRW finden sich viele Brutplätze auch in Mittelspannungsmasten. Mit der Erneuerung der Masten gingen viele Brutplätze verloren, ohne dass Ersatz geschaffen worden wäre. Feldsperlinge stehen aber insgesamt stellvertretend für eine lebenswerte Kulturlandschaft.

 

 

Bluthänfling Linaria cannabina

Bluthänfling
Bluthänflingspaar (© Eckhard Lietzow)

Hänflinge müssen einst so häufig gewesen sein, dass sie jede*r kannte und sie sprichwörtlich für einen dünnen Menschen wurden. Im Jahr 2014 holte die niederländische Band „The Common Linnets“ Platz zwei beim Eurovision Song Contest. Sicherlich keine schlechten Voraussetzungen für einen Kandidaten für die Wahl zum Vogel des Jahres. Bluthänflinge gehören zu den wenigen heimischen Brutvögeln, die selbst ihre Jungen mit pflanzlicher Nahrung versorgen. Sie brauchen dazu Brachen und Raine, nicht asphaltierte Feldwege und andere Strukturen, die man in der Kulturlandschaft selten findet. LBV und NABU möchten mit dieser Art für mehr Hecken werben und tatsächlich finden sich dort häufig Nistplätze. Bluthänflinge brüten aber vielfach auch in Tannenbaumkulturen oder leben in Weinbergen. Bluthänflige stehen damit für eine reichhaltige Kulturlandschaft voller ökologisch wertvoller Strukturen.

 

 

 

Weiterführende Links

Rote Liste der Brutvögel in NRW
Rote Liste der wandernden Vogelarten in NRW
Mehlschwalbe im Brutvogelatlas
Steinschmätzer im Brutvogelatlas
Feldsperling im Brutvogelatlas
Bluthänfling im Brutvogelatlas