21.10.2023

Vogel des Jahres – Kiebitze in NRW

Kiebitz
Vogel des Jahres 2024: Kiebitz (© Hans Glader)

Die meisten haben es längst erfahren: In einer öffentlichen Abstimmung unter fünf Kandidaten wurde der Kiebitz als Vogel des Jahres ausgewählt. Für uns selbstverständlich ein guter Grund, sich etwas näher mit dieser Art zu beschäftigen und die Situation des Kiebitzes in NRW näher zu beleuchten.

Kiebitze gehören verwandtschaftlich zu den Limikolen und dort in die Regenpfeiferverwandtschaft. Der Schnabel ist daher vergleichsweise kurz und damit gut geeignet, Nahrung oberflächennah zu finden – Insekten, Regenwürmer und andere Wirbellose lassen sich so gut aufpicken oder nahe der Oberfläche erstochern. Kiebitze sind bekannt für ihre phantastischen Balzflüge, deren Eindruck sie mit lauten Rufen („kie-witt“) noch verstärken. Sie brüten in NRW vor allem im Tiefland in weiten offenen Landschaften. Die Jungen sind Nestflüchter und können kurz nach dem Schlupf bereits laufen, werden aber von den Eltern noch betreut. Kiebitze sind Teilzieher. Die meisten unserer Brutvögel fliegen nach West- und Südwesteuropa, andere überwintern auch bei uns. Jetzt im Oktober ist eine gute Zeit, um rastende Kiebitze auf dem Durchzug zu beobachten. Die nächste Brutzeit beginnt dann recht früh im Jahr und bereits im Vorfrühling kann man wieder mit balzenden Kiebitzen rechnen.

Ursprünglich waren Kiebitze eine Vogelart artenreicher, magerer feuchter Wiesen, Weiden und (Nieder-)Moore. Mit der Ausbreitung der Ackerflächen hat der Vogel mit der Federtolle aber auch diesen Lebensraum als Brutplatz entdeckt. Hier ist er jedoch größeren Gefahren ausgesetzt. Flächen, die im Vorfrühling noch unbearbeitet sind (z.B. spätere Sommerungen wie Maisäcker), werden just zur Brutzeit bearbeitet. Zum Glück gibt es viele aufmerksame Bauern und Bäuerinnen, die Nester umfahren oder vorsichtig kurzfristig umsetzen. Mit modernen schnellen Maschinen ist das jedoch eine große Herausforderung. In vielen Regionen werden Kiebitznester deshalb von Mitarbeitenden Biologischer Stationen oder Ehrenamtlichen (z.B. aus der NWO) in Absprache mit der Landwirtschaft markiert, so dass die Brutplätze umfahren werden können. Dafür gibt es übrigens auch einen finanziellen Ausgleich vom Land und auch weitere Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes können sich positiv auswirken. Trotz einiger Positivbeispiele hat dies aber noch nicht ausgereicht, langfristige Bestandsrückgänge zu stoppen. Oft fehlt es an Nahrung und Schutz für die Küken. Feuchte Ackersenken sind durch Drainagen selten geworden, die Klimakrise spielt zunehmend mit hinein und nicht überall gibt es noch geeignetes Grünland in Reichweite für die Jungen. Dieses ist vielerorts ungeeignet geworden. Stark gedüngte Grasäcker (durch Gülle und Stickstoffdeposition aus der Luft) bieten keine Nahrung und im zu dichten Grasdschungel können Jungvögel sich nicht bewegen und werden leicht nass und kühlen aus. Auch Prädation spielt eine zunehmende Rolle, zumal kleiner werdende Kolonien oder Einzelpaare es weniger gut schaffen, sich gegen Prädatoren zur Wehr zu setzen.

Kiebitz Jungvogel
Der Bruterfolg ist der entscheidende Faktor für das Überleben des Kiebitzes als Brutvogel in NRW (© Hans Glader)

Einzelne Projekte wie das kürzlich gestartete LIFE-Wiesenvögel-Projekt in NRW geben zwar Hoffnung, dass sich die Situation in einzelnen Schutzgebieten verbessern könnte, sind aber noch kein Grund zur Entwarnung und erreichen natürlich auch nicht die Vögel in der Normallandschaft. Der Kiebitzbestand ist dementsprechend weiterhin im Rückgang begriffen und die Art wird in der aktuellen Roten Liste für NRW daher als stark gefährdet geführt. Der genaue Brutbestand ist nicht bekannt, lag aber schon bei der letzten Roten Liste (2016) bei unter 10.000 Brutpaaren (Rote Listen), mittlerweile sind es bereits deutlich weniger. Ein standardisiertes Monitoring für diese Art fehlt leider bisher. Hinzu kommt, dass nun auch große Verbreitungsgebietslücken auffällig werden. So sind die Mittelgebirge heute nahezu vollständig geräumt. Sehr viel Wissen über die Art in NRW wurde übrigens 2020 in einem Schwerpunktheft des Charadrius (Jahrgang 56, Heft 1-2) veröffentlicht.

Manchmal werden für den Bestandsrückgang auch Faktoren außerhalb des Brutgebietes genannt, so werden Kiebitze mancherorts noch bejagt. Während dies selbstverständlich negative Auswirkungen hat, zeigen Studien deutlich, dass die entscheidenden Ursachen für den Bestandsrückgang in den Brutgebieten liegen. Auch die Rastbestände sind vielerorts zusammengebrochen. Waren es früher allein am Unteren Niederrhein um die 120.000 Vögel, sind es heute nur noch wenige 1.000 – ein Rückgang um mehr als 95 %.

Die Aussichten für den Kiebitz sind also nicht allzu positiv und die bisherigen Anstrengungen reichen noch nicht aus, um den Kiebitz vor dem Schicksal der meisten anderen Wiesen- und Moorvögel zu schützen. Es besteht die Gefahr, dass der Kiebitz anderen Arten dieses Lebensraums folgt, die in NRW mittlerweile ausgestorben oder extrem selten sind und bei denen verbliebene Restbestände auf wenige Reservate begrenzt sind. Die erneute Wahl zum Vogel des Jahres 2024 wird hoffentlich dazu beitragen, den Schutz des Kiebitzes und der vielen anderen Feld-, Wiesen-, Moor- und Weidevögel weiter im Fokus zu behalten und endlich eine echte Trendumkehr einzuläuten.