Wie sehen Vögel?

Mäusebussard
Nach vorne gerichtete Augen und eine zweite Sehgrube erlauben Mäusebussarden hervorraggende Sehschärfe und binokulares Sehen (© Hans Glader)

Wie nehmen Vögel eigentlich ihre Umgebung visuell wahr? Als Wirbeltiere mit zwei Augen gibt es erstmal viele Gemeinsamkeiten mit uns Menschen. Der grundsätzliche Aufbau der Augen ist recht ähnlich mit Linse und Tränendrüsen und auf der Retina gibt es extrem lichtempfindliche Stäbchenzellen und Zäpfchen, die dem Farbensehen dienen. Vögel hören zwar auch gut und können wohl auch besser riechen als vielfach angenommen, aber der Sehsinn ist für die meisten Arten besonders wichtig. Säugetiere sind im Gegensatz zu Vögeln vergleichsweise wenig bunt gefärbt und nur einige Arten – darunter altweltliche Primaten wie wir – können überhaupt Farben sehen. Die Ursachen dafür dürften in einer gänzlich anderen Evolutionsgeschichte liegen. Anders als selbst heute tagaktive Säuger haben die meisten Vögel beispielsweise keine Vorfahren, die wahrscheinlich über Millionen Jahre nachtaktiv lebten und dadurch ganz anderen Selektionsdrücken unterworfen waren. Ein auffälliger äußerer Unterschied von Vögeln zum Menschen ist die sogenannte Nickhaut, ein drittes von der Seite kommendes Augenlid, eine Bindehautfalte, die ähnlich unseren Lidern dem Schutz und der Befeuchtung der Augen dient (beim Menschen gibt es dieses Merkmal nur rudimentär). Die meisten Vogelarten haben eine dunkle Iris, allerdings gibt es auch Arten mit auffällig gefärbten hellen Iriden, manchmal mit individuellen Unterschieden z.B. nach Alter und Geschlecht. Welche Rolle die Irisfarben z.B. bei Kommunikation und Verhalten spielen, ist bisher aber noch nicht sehr gut untersucht.

Räumliches Sehen und Gesichtsfeld
Um räumlich zu sehen, müssen die Gesichtsfelder beider Augen überlappen. Die Abschätzung von Entfernungen ist vor allem für viele räuberisch lebende Arten wichtig. Daher haben Greifvögel, Eulen und viele andere nach vorne gerichtete Augen, die monokulares und insbesondere binokulares Sehen in einem Winkel von etwa 70° ermöglichen. Wie Säugetiere haben auch Vögel eine zentrale Sehgrube, die Fovea centralis. Hier ist die Zone des schärfsten Sehens, denn hier sind besonders viele für das Farbensehen verantwortliche Zapfenzellen. Tagaktive schnelle Flieger wie Greifvögel, Seeschwalben, Kolibris und Eisvögel haben darüber hinaus eine zweite Sehgrube (Fovea temporalis), die besonders scharfes Sehen nach Vorne erlaubt. Für andere Vögel ist eine gute Rund-um-Sicht wichtiger und manche Vögel können monokular bis zu 340° überblicken. Waldschnepfen können beispielsweise mit ihren seitlichen Augen fast in alle Richtungen schauen und sehen daher auch sich seitlich von hinten nähernde mögliche Fressfeinde.

Räumliche Auflösung
Adleraugen sind sprichwörtlich gut und erlauben eine enorme Auflösung. Kleine Beutetiere können auf große Entfernung erkannt werden. Geier sehen das leckere tote Kaninchen aus großer Höhe. Die Angaben schwanken von Art zu Art, aber oft ist die Auflösung zwei bis achtmal höher als bei uns Menschen. Wer selbst Vögel beobachtet, ist nicht umsonst auf Fernglas oder Spektiv angewiesen, während das Objekt der Begierde – ein vielleicht Hunderte Meter entfernter Wanderfalke auf einem Felsen – ganz genau mitbekommt, was wir gerade machen.

Zeitliche Auflösung
Vielleicht noch spannender als die räumliche Auflösung ist die bei uns im Alltag kaum beachtete zeitliche Auflösung. Damit ein Objekt scharf gesehen wird, muss sich die Linse verformen. Dies geschieht mit sehr hoher Geschwindigkeit. Ein Singvogel, der durch das Geäst fliegt, behält seine Umgebung permanent im Fokus – Ähnliches gilt für einen Greifvogel, der seine Beute verfolgt. Die Bildinformationen müssen allerdings auch im Gehirn verarbeitet werden und in Einzelbilder verarbeitet werden. Eine Studie an Blaumeisen, Halsband- und Trauerschnäppern hat gezeigt, dass Vögel Hell-Dunkel-Wechsel mit einer Frequenz von bis zu 145 Hz unterscheiden können (Boström et al 2016, PLoS One) – 50 Hz mehr als bei jedem anderen Wirbeltier (Hertz hat die Einheit pro Sekunde!). Bei einer Kolibriart wurde eine zeitliche Auflösung von 70 Hz festgestellt (Goller et al 2019, Physiol Biochem Zool). Selbst neueste Kinofilme, bei denen bis zu 50 Bilder pro Sekunde genutzt werden, erscheinen also für diese Vögel als Abfolge von Einzelbildern und eine mit 60 Hz leuchtende Glühbirne flackert aus Sicht der Vögel. Mit dieser hohen zeitlichen Auflösung lassen sich natürlich auch die Bewegungen kleiner Luftinsekten verfolgen, die von vielen Vogelarten wie den erwähnten Schnäppern mit Leichtigkeit erbeutet werden.

Wie sehen Vögel Farben?
Tagaktive Vögel können in der Regel sehr gut Farben wahrnehmen. Farben sind letztlich unterschiedliche Frequenzbereiche des elektromagnetischen Spektrums. Das Licht wird von speziellen Neuronen in elektrische Signale umgewandelt und an das Gehirn weitergeleitet. Menschen haben typischerweise drei verschiedene Zäpfchenzellen, die ihre höchste Sensibilität bei Licht unterschiedlicher Wellenlängen haben. Alle drei Zellentypen zusammen decken den sichtbaren Teil des Spektrums zwischen violett (kurzwellig) und rot (langwellig) ab. Die meisten Vögel haben jedoch ein viertes Zäpfchen, das auch auf ultraviolettes Licht reagiert, dessen Wellenlänge geringer ist als das sichtbare Licht. Dadurch sehen Vögel nicht nur kurzwelligeres Licht, sondern sie sehen Farben auch etwas anders als wir, weil bei vielen Wellenlängen nicht nur ein Zäpfchentyp aktiviert wird. Wenig erstaunlich reflektiert auch das Vogelgefieder bei vielen Arten ultraviolettes Licht. Für uns monochromatisch (Männchen und Weibchen sind äußerlich identisch gefärbt) erscheinende Vögel sind häufig sexuell dichromatisch – bei Blaumeisen lassen sich z.B. die Geschlechter für uns kaum äußerlich unterscheiden, dabei haben Männchen auffällig UV-Licht reflektierendes Kopfgefieder.

 

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