14.02.2024

Rote Liste verdeutlicht Naturkrise: Mehr als die Hälfte der Brutvogelarten in NRW ist bedroht

Die Situation der Vögel in Nordrhein-Westfalen hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Das zeigt die neue Rote Liste der Brutvögel unseres Bundeslandes, die jetzt von der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft e.V. (NWO) gemeinsam mit dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) herausgegeben worden ist. Hauptgefährdungsursachen sind menschliche Eingriffe, vor allem die intensive Landnutzung. Vögel landwirtschaftlich genutzter Flächen sind besonders bedroht, aber auch in anderen Lebensräumen ist die Situation besorgniserregend. Natur- und Artenschutzmaßnahmen müssen deutlich ausgebaut und intensiviert werden, um eine Trendumkehr zu erreichen und einen weiteren Verlust der biologischen Vielfalt zu verhindern.

In Nordrhein-Westfalen leben 190 heimische Brutvogelarten. Von diesen befinden sich 100 Arten (53 %) in einer Gefährdungskategorie der Roten Liste, 24 davon sind bereits ausgestorben und 23 sind vom Aussterben bedroht. Das sind netto sieben gefährdete Arten mehr als bei der letzten Roten Liste von 2016. Insgesamt wurden zwölf Arten in eine höhere Gefährdungskategorie eingestuft, neun wurden herabgestuft und vier wurden neu bewertet.

 

Welche Vögel sind gefährdet?

Rebhuhn
Rebhuhn (© Hans Glader)

Gefährdet sind vor allem Vögel des Offenlandes, d.h. Vogelarten landwirtschaftlicher Flächen und Vögel sogenannter Sonderstandorte wie Heiden und Moore. Auf der Roten Liste finden sich Feldvögel wie Rebhuhn („stark gefährdet“), Wiesenweihe („vom Aussterben bedroht“), Feldlerche („gefährdet“) und Feldsperling („gefährdet“). Auch der Vogel des Jahres 2024, der Kiebitz, weist starke Bestandsrückgänge auf und gilt deshalb als „stark gefährdet“. Besonders kritisch ist die Situation bei Vögeln feuchter Wiesen, Weiden und Moore: Bekassine, Uferschnepfe, Braunkehlchen und andere sind vom Aussterben bedroht. Anhaltend besorgniserregend ist die Situation bei Vögeln der Seen und Flüsse. Schilfbewohner wie Wasserralle („stark gefährdet“) oder Blaukehlchen („gefährdet“) zeugen davon. Etwas besser sieht es bei einigen Arten des Siedlungsraumes aus, wobei es auch hier negative Entwicklungen gibt, z.B. bei Vögeln, die an Gebäuden brüten wie den Insekten jagenden Schwalben. Die Vogelarten der Wälder zeigen Zu- und Abnahmen. Das Haselhuhn, eine Art der Urwälder oder historisch genutzten Niederwälder, steht akut vor dem Aussterben. Und weil es andernorts ähnlich aussieht, wird die lokale Unterart, das Westliche oder Rheinische Haselhuhn, wohl auch global aussterben. Langfristig positive Entwicklungen gab es dagegen bei einigen Großvögeln – bekannte Vogelarten wie Kranich, Weißstorch, Uhu und Wanderfalke gelten bereits seit einigen Jahren wieder als ungefährdet. Nach jüngsten Bestandszunahmen konnte auch der Haussperling aus der Roten Liste entlassen werden, auch wenn die Population sehr viel niedriger ist als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Auffällig ist, dass die Situation vor allem bei ehemaligen sogenannten „Allerweltsarten“ bedrohlich ist. Diese haben jedoch oft eine besonders wichtige Rolle in Ökosystemen. Positive Entwicklungen sehen wir fast nur noch bei einigen Generalisten, die sich in einer stark von intensiver menschlicher Nutzung überformten Landschaft zurechtfinden“, so einer der Autoren, Michael Schmitz von der NWO.

 

Woran liegt es?

Wasserralle
Wasserralle (© Michael Schmitz)

Die Ursachen für die negativen Bestandsentwicklungen sind fast ausnahmslos seit Langem bekannt und dokumentiert: An erster Stelle steht der Verlust natürlicher bzw. naturnaher Lebensräume durch einen fortschreitenden Landnutzungswandel. Eine wichtige Rolle spielt die intensive Landwirtschaft mit dem Verlust von Rückzugsgebieten wie Brachflächen und dem intensiven Einsatz von Bioziden und Kunstdüngern, der Verlust der Nahrung (Insekten u.a. Wirbellose), bauliche Maßnahmen und Infrastruktur z.B. im Rahmen der Energiewende, Störungen durch Freizeitnutzung, direkte Verfolgung im Brut-, Durchzugs- und Überwinterungsgebiet und Prädation (z.B. durch invasive Arten).

Erstmals macht sich auch der Klimawandel mehr als deutlich in der Roten Liste bemerkbar. Für zehn Arten mussten im Zuge wiederkehrender Dürren sogenannte Risikofaktoren vergeben werden. Ihre Lebensräume trocknen aus und feuchtere Phasen bringen nur kurzfristige Besserung.

Klimakrise und Artenkrise sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Notwendige Transformationsprozesse im Energie-, Mobilitäts- und Agrarbereich bieten die Möglichkeit, beide Krisen gleichzeitig anzugehen, Natur- und Vogelschutz darf aber nicht auf der Strecke bleiben“, so Klaus Nottmeyer, Vorsitzender der NWO und Mitautor der Roten Liste.

 

Was muss getan werden?

Mehlschwalbe
Mehlschwalbe (© Michael Schmitz)

Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Oliver Krischer, schreibt in seinem Vorwort: „Rote Listen zeigen faktenreich und basierend auf jahrzehntelanger Analyse auf, dass wir unseren Einsatz für Natur- und Artenschutz deutlich erhöhen müssen und bei allen Nutzungen unserer Landschaft mitdenken müssen.“ Die konkreten Handlungserfordernisse und ihre Wirksamkeit sind eingehend erforscht. Maßnahmen sind sowohl in Schutzgebieten als auch außerhalb in der sogenannten Normallandschaft erforderlich. In der Landwirtschaft benötigen wir eine Reduktion von Düngemitteln und Bioziden, bestehende Agrarumweltmaßnahmen im Bereich des Vertragsnaturschutzes müssen ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Brachen in der Landschaft. Im Wald können Wildnisgebiete, aber auch Programme zur Förderung wichtiger Lebensraumstrukturen (z.B. Altholzinseln) helfen. Gewässer müssen großräumig renaturiert werden – lebendige Auen, Kleingewässer und Röhrichte sind nicht nur Hochwasserschutz und Klimaanpassungsmaßnahme, sondern auch essentiell für den Erhalt der Artenvielfalt. Im Siedlungsraum ist der Erhalt und die Neuschaffung von Brutplätzen und Lebensraumstrukturen, z.B. bei der energetischen Gebäudesanierung, entscheidend. Bei der Planung von Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien ist eine besondere Berücksichtigung des Artenschutzes unabdingbar. Naturschutzgebiete und das NATURA-2000-Netzwerk müssen frei von Anlagen bleiben.

Einige dieser Maßnahmen werden in Teilen bereits umgesetzt. So gelang es immerhin, das einst häufige Braunkehlchen vorerst vor dem Aussterben zu bewahren und den Lebensraum des kleinen Restbestandes zu sichern. Geplante Maßnahmen für Feuchtwiesenarten können zumindest lokal positive Auswirkungen auf gefährdete Enten und Watvögel haben. Beschlossene und rechtlich gebotene Maßnahmen in den Schutzgebieten müssen aber endlich konsequent umgesetzt werden. Zudem muss die Schutzgebietskulisse vor dem Hintergrund des Ziels der EU, 30 % der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen, auch in NRW deutlich erweitert werden.

Die bisherigen Erfolge im Vogelschutz in NRW zeigen, dass eine Trendwende durchaus möglich ist, wenn die in der Roten Liste genannten Handlungserfordernisse befolgt werden“, so Stefan Sudmann von der NWO.

Die Rote Liste der Brutvögel fußt maßgeblich auf großem behördlichem und ehrenamtlichem Engagement. Um auch zukünftig den Zustand der Vogelwelt fachkundig beurteilen zu können, ist nicht zuletzt auch ein weiterer Ausbau des Vogelmonitorings in NRW notwendig.

 

Originalveröffentlichung

Sudmann, S.R., Schmitz, M., Grüneberg, C., Herkenrath, P., Jöbges, M.M., Mika, T., Nottmeyer, K., Schidelko, K., Schubert, W. & Stiels, D. 2023. Rote Liste der Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens, 7. Fassung, Stand: Dezember 2021. Chararius 57: 75–130.

Direkter pdf-Download (ca. 7.6 Mb)

Sudmann et al 2023 Rote Liste Brutvögel NRW 2021

Pressemitteilung der NWO zur neuen Roten Liste