Wann beginnt der Wegzug? „Winter is coming“ im Frühsommer?

Waldwasserläufer
Waldwasserläufer – bereits auf dem Weg in den Süden? (© Hans Glader)

Das ganze Jahr über sind weltweit Vögel irgendwo auf dem Zug in ihre Brut- und Winterquartiere. Der Wegzug in die Winterquartiere, oft auch Herbstzug genannt, beginnt allerdings nicht erst nach Ende des Sommers. Bereits im Frühsommer beginnnt der Abzug der ersten mitteleuropäischen Brutvögel. Der Juni ist in Mitteleuropa vielleicht der ungewöhnlichste Monat, denn Heim- und Wegzug können sich zu dieser Jahreszeit bei uns sogar kreuzen.

Langsteckenzieher erreichen ihre nordrhein-westfälischen Brutgebiete oft erst im Mai. Die letzten Zugvögel besetzen ihre Reviere bei uns sogar erst Ende Mai. Hocharktische Brutvögel können bei uns außerdem noch Ende Mai durchziehen, nicht selten gelingen zu dieser Jahreszeit schöne Beobachtungen von im Binnenland eher selten zu beobachtenden Limikolen und nachts ist selbst über Siedlungen der Ruf bzw. Gesang ziehender Wachteln zu hören. Einige Arten sind auch noch Anfang Juni auf der Zwischenrast zu sehen. Normalerweise weiter südlich brütende Zugvögel erreichen zu dieser Jahreszeit ebenfalls manchmal Gebiete weiter nördlich. Oft wird vermutet, dass sie quasi über das Ziel hinausschießen, weshalb auch von „Zugprolongation“ oder „Overshootern“ gesprochen wird. Manchmal ergeben sich dadurch Beobachtungen regional seltener Arten, die für die meisten Beobachtenden mindestens das Salz in der Suppe der Vogelbeobachtung ausmachen. So ist der Juni der Monat, in dem es immer wieder zu Einflügen von Gänsegeiern nach NRW kommt, auch wenn die Zahlen von Jahr zu Jahr schwanken und dies ein besonderes und seltenes Phänomen bleibt.

Im Juni haben viele Standvögel und Kurzstreckenzieher aber auch bereits Junge. Diese streifen umher und können ggf. auch in ungewöhnlichen Lebensräumen auftauchen. Doch auch abgesehen von diesen eher ungerichteten Bewegungen, gibt es bereits einige Vögel, die sich auf den regulären Weg in ihre Überwinterungsgebiete machen. Für diese Arten gilt bereits im Frühsommer, der aus einer Fantasyserie bekannte Spruch „Winter ist coming“.

Ein prominentes Beispiel ist der Kuckuck. Die Altvögel kümmern sich bekanntlich nicht um den Nachwuchs, die Wirte haben mit der Brut begonnen und es gibt daher erstmal, keine weiteren Gründe im Brutgebiet zu bleiben. Dass die Altvögel wirklich auf dem Weg nach Süden sind, wissen wir auch dank besenderter Vögel. Der Zug von einigen Individuen, die im Vereinigten Königreich vom BTO (British Trust for Ornithology) mit Sendern ausgestattet wurden lässt sich ganzjährig hier verfolgen. Auch unter den Limikolen setzt der Wegzug bereits teilweise im Juni ein. Eine der Flaggschiffarten im Natur- und Vogelschutz in NRW, die Uferschnepfe, macht sich dann teilweise bereits auf den Weg in ihre Rastgebiete. Die Doñana in Andalusien oder die Tejo-Mündung in Portugal sind bekannte Beispiele. Vor allem adulte Uferschnepfen, deren Brut früh verloren gegangen ist, machen sich bei nun auf den Weg. Auch hier lässt sich der Zug dank hochpräziser GPS-Sender online verfolgen.

Einige Limikolenarten haben eine Brutstrategie, die von dem abweicht, was viele von heimischen Singvögeln kennen. Bei einigen Arten kümmern sich nämlich vor allem die Männchen um die Brut und die Weibchen brüten nach der Eiablage noch ein zweites Mal mit einem anderen Männchen – oder ziehen eben bereits jetzt schon nach Süden. Wer im Juni einen Waldwasserläufer beobachtet, kann eigentlich nicht sicher sein, ob der Vogel gerade noch sehr spät auf dem Weg in den hohen Norden ist, oder ob es sich bereits um ein Individuum auf dem Wegzug handelt. Das bedeutet, dass es sogar denkbar ist, dass sich Vögel auf dem Heim- und Wegzug bei uns treffen.

 

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